Eine frische Schweizer Sicht auf die Welt

Generationen haben mit dem «Schweizer Weltatlas» erste globale Erkundungsreisen unternommen. Jetzt liegt er in neuer Form vor – mit einem Globus in frechem Rot auf dem weissen Cover.

Walter Bernet
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Der neue Schweizer Weltatlas liefert mit einer Vielfalt von Darstellungen und Kartentypen ein fesselndes Bild der Schweiz und der ganzen Erde. (Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)

Der neue Schweizer Weltatlas liefert mit einer Vielfalt von Darstellungen und Kartentypen ein fesselndes Bild der Schweiz und der ganzen Erde.
(Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)

Lehrer Roger Fässler fasst sich kurz: Die Bilder von der Berner Matte, die er zeigt, machen den Schülerinnen und Schülern der ersten Sekundarklasse im Zürcher Schulhaus Leutschenbach klar, worum es geht: Hochwasser als Folge von Starkregen ist das Thema der Geografie-Lektion. Eine ungewöhnliche Stunde. TV-Kameras, Fotografen und Journalisten mit Notizblöcken stehen sich zwischen den Schülerpulten im Weg.

Zum ersten Mal wird hier der vollständig neu bearbeitete «Schweizer Weltatlas» im Unterricht eingesetzt. Und es zeigt sich: Der Atlas ist nicht nur ein dickes, buntes Buch, sondern auch eine Online-Welt. Eine Gruppe beschäftigt sich mit Klimadiagrammen, eine andere erarbeitet mit dem Laptop in wenigen Minuten auf der Grundlage einer «stummen» Schweizer Karte eine Darstellung mit den Hochwasser führenden Flüssen. Am Schluss geht es um den Unterschied von Wetter und Klima und um die unterschiedlichen Ursachen von gefährlichen Naturereignissen.

Das Buch bleibt Basisprodukt

Generationen von Schülern haben mit diesem Schweizer Atlas gearbeitet. Er gehört zu jenen wenigen Lehrmitteln, die auch nach der Schulzeit im Bücherregal stehen bleiben. Zu den «Imhof-Kindern» zählt sich der Schreibende. Die 1962 erstmals erschienene, 1981 abgelöste Ausgabe war unter der Leitung von Eduard Imhof geschaffen worden und hiess noch «Schweizerischer Mittelschulatlas». Das Lehrmittel gibt es aber seit 1910, und der seit 2009 amtende Lorenz Hurni ist erst sein vierter Chefredaktor. Er hat die von der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) herausgegebene, an der ETH zusammen mit dem Zürcher Lehrmittelverlag erarbeitete jüngste Ausgabe vorgestellt. Der ganze Globus ist auf ihrem Cover abgebildet, aber in frechem Schweizer Rot. In der Univers von Adrian Frutiger aus den fünfziger Jahren ist der Titel gesetzt.

Überarbeitet wurde der jetzt 256 Seiten starke Atlas mit 430 Karten und Abbildungen, weil die alte Ausgabe laut einer Nutzerbefragung nicht mehr genügte. Der Karteninhalt war danach oft zu gedrängt und verschachtelt, zum Teil veraltet, und nicht immer überzeugte die Reihenfolge. Die interaktive Ausgabe war dem gedruckten Atlas zu nahe und wurde von den Schülern kaum genutzt. Auch ein neuer Datenaufbau und ein verbesserter Workflow führten zum Entscheid für eine Bearbeitung. Basisprodukt ist aber das gedruckte Buch geblieben. Es beginnt mit 26 Seiten und 60 Karten zur Schweiz und führt über Europa in die weite Welt, ja bis auf den Mond. Das neue Layout überzeugt durch seine Klarheit, man findet sich schnell zurecht in dem Werk.

Die Website ist nicht einfach eine digitalisierte Version des Buchs, sondern enthält Unterrichtsmaterialien, Kartenkommentare und neue interaktive Tools zu ausgewählten Themen. So kann die «Weltkugel» in ihre reale Kartoffelform verwandelt oder die Frage nach der richtigen Darstellung der Welt mit beweglichen Projektionen untersucht werden. Zahlreiche Karten sind ganz neu. So wurde weltweit die wirtschaftliche Stärke der städtischen Zentren berechnet und mit Kreisdiagrammen dargestellt. Die Intensität der landwirtschaftlichen Nutzung, die Rohstoffvorkommen, die globalen Themen Energie, Umwelt, Naturgefahren, Migration oder Konflikte bieten sich für Erkundungen auf der ganzen Welt an. Das erlaubt es, im Unterricht auch komplexen ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen nachzugehen.

Als Symbol für die kulturelle Vielfalt der Schweiz pries Bildungsdirektorin Silvia Steiner den neuen Atlas. Sie sprach auch in ihrer Eigenschaft als EDK-Präsidentin und Präsidentin der Weltatlas-Geschäftsleitung. Es handle sich um eines der ersten Geografie-Lehrmittel, die dem Lehrplan 21 entsprächen.

Den Blick auf Karten schärfen

Der Atlas erscheint gleichzeitig auf Deutsch, Italienisch und Französisch und ist für den Gebrauch in Sekundarschulen und Gymnasien konzipiert. Eine Begleitkommission von Lehrern aus der ganzen Schweiz hat seine Entstehung kritisch begleitet. Er ist nicht nur auf die Kompetenzen des Lehrplans 21 abgestimmt, sondern auch auf die Lehrpläne der Romandie und der italienischsprachigen Schweiz. Auch die Rahmenlehrpläne der EDK für die Gymnasien und die Fachmittelschulen wurden einbezogen. Schweizer Firmen haben mit Liebe zum Detail die hohen Anforderungen an die Produktion erfüllt, wie Beat Schaller, Direktor des Lehrmittelverlags Zürich, sagte.

Zu den lobenswerten Besonderheiten des jüngsten «Schweizer Weltatlas» gehört ein spannender, neu konzipierter Einführungsteil, der die Arbeit der Kartografen und ihre Methoden vorführt, die verschiedenen Kartenprojektionen erläutert, die Eigenheiten der Kartentypen und der Visualisierungen aufzeigt und schliesslich in den Umgang mit Karten und in deren Auswertung und kritische Hinterfragung einführt.